XII. Der Beitrag der Kunstwissenschaft

Die Malweise des Peter Paul Rubens wird von van de Rur (1981) folgendermaßen charakterisiert: „Seine Darstellungen nackter Körper wirken niemals peinlich oder gar obszön; seine Wiedergabe von Gewaltszenen wie die Entführung der Leukippostöchter oder die Ermordung des Holofernes durch Judith erregen eigentlich kein Entsetzen; und selbst vor so grausigen Bildern wie dem Kindermord zu Bethlehem wendet sich der Betrachter nicht etwa schockiert ab – die Eleganz der Linienführung, die Kraft der Farben, die Dramatik des Geschehens ziehen ihn in ihren Bann. Fast ist man geneigt zu sagen, selbst das Schrecklichste erscheine in Rubens‘ Kunst noch schön.“ (S. 21/ 22).

In seinem letzten Selbstporträt scheint diese Möglichkeit an eine Grenze gelangt zu sein. Rubens, der schwer unter Gicht litt, verbirgt dort die entstellte Hand in einem Handschuh. Doch auch dies ist ein Weg, das Schöne zu suchen, freilich unter Ausblendung der Krankheit, die von Rubens vermutlich als Widerspruch zu seinem Selbstbild vom erfolgreichen Maler-Bürger empfunden wurde.

Gar nicht bürgerlich ist das Verfahren, mit dem Gauguin sein Leiden umsetzte. Wie Segalen (1975) entwickelt, setzte er sich in seinem Selbstporträt „Nahe bei Golgatha“ Christus an die Seite. Der unter einem nie ganz verheilten Unterschenkelbruch und schmerzhaften Ekzemen leidende Gauguin scheint diesen Schritt in einem Moment getan zu haben, wo er sich gezwungen sah, fortan aufs Malen zu verzichten, was nach Segalen schlimmer für ihn war, als Suizid zu verüben.

Das (Schmerz)leiden zu transzendieren verläßt die Ebene des Menschlichen. Wie sich Segalen entnehmen läßt, bot Menschliches Gauguin keine Hoffnung mehr. Und vermutlich vermochte er sich der eigenen Not nicht in der Weise zuzuwenden, die Berger (1989) bei Matthias Grünewald entdeckt: „Die Abbildung haftet an dem erlittenen Schmerz. Da kein Körperteil dem Schmerz entgeht, kann die Präzision der Abbildung nirgendwo nachlassen. Die Ursache des Schmerzes ist irrelevant; es zählt nur die Redlichkeit der Abbildung. Diese Redlichkeit kam durch das Einfühlungsvermögen der Liebe zustande.“ (S. 72).

Ich hatte, bis ich Bergers Text las, den Isenheimer Altar niemals unter diesem Gesichtspunkt betrachtet. Auch wäre ich nicht auf den Einfall gekommen, eine „Präzision der Abbildung“, die mir schon vom Wortlaut her kalt erschien, mit Liebe in Verbindung zu bringen. Doch ist die aufmerksame Zuwendung natürlich ein starkes therapeutisches agens, und es ist überzeugend anzunehmen, dass es auch in der Kunstschmerztherapie seine Bedeutung behält.

Eine besondere Weise, den Schmerz aufzufassen, scheint Leonardo da Vinci gehabt zu haben. Er, der einerseits als weich beschrieben wird, hatte andererseits keine Not, Verurteilte in Erwartung ihrer Hinrichtung zu porträtieren. Sein Verhältnis zum Schmerz hat einen sachlichen, annehmenden Charakter. Haskell (1995) ordnet ihm neben Raffael, der sich mit heiterer Religiösität identifiziert habe, und Cellini, für den nur rücksichtslose Selbstverwirklichung zählte, die Identifikation mit der Natur zu. Natur schafft, sie erzeugt Gutes und Schreckliches, aber sie bewertet nicht. Immer beide Seiten haben in ihr Platz, wie Leonardo denn auch in einer Allegorie Lust und Schmerz als die zwei Teile eines Organismus zeichnete. Womit von der Kunst wieder der Schritt zurück zu den Organismen getan wäre und sich die Fragen auftun, was Kunst unter biologischen Gesichtspunkten mit Menschen vermag und ob dies auch für eine künstlerische Schmerztherapie zu nutzen ist.

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