V. Ein neuer hypnotherapeutischer Ansatz zur Schizophreniebehandlung

Liebe Leserin, lieber Leser, ich möchte Ihnen nun ein hypnotherapeutisches Modell vorstellen, welches ich für die Arbeit mit Schizophrenen entworfen habe. Zu dem Modell gehören folgende Punkte:

1. Die kreative Produktion mit Struktur versehen
2. Stabilisieren durch Werten
3. Zugang zum Selbstwissen ermöglichen


Zunächst zu Punkt 1:

Wir haben weiter oben mit dem Bild eines gelockerten Gerüsts gearbeitet, um uns den Mechanismus der Schizophrenie zu verdeutlichen. Buck (1995) zitiert eine Betroffenenmetapher , die in eine ähnliche Richtung weist: „… ein Fallschirm ohne Seil am Korb.“ (S. 543). Bei mir hat dieses Bild schlagartig Unbehagen erzeugt, sah ich doch in meiner Phantasie den „Fallschirm“ (von dem ich vermute, daß es sich eher um einen Heißluftballon handeln sollte) und den „Korb“ weiter und weiter sich voneinander entfernen. Driftete ersterer lässig ab ins Weite, so stand letzterem mit dem Absturz das Zerschellen bevor. Verfolgen wir die die Metapher nun weiter und klopfen sie auf das hin ab, was sie uns für unser therapeutisches Handeln mitteilt, so ist klar, daß es um Verknüpfung gehen muß – fragt sich bloß, um welche. Sind „Fallschirm“ und „Korb“ echte Metaphern, eins zu eins übersetzbar in beispielsweise rechte und linke Hirnhälfte (der Schirm die sich breit blähende, rechts befindliche  Assoziationsbereitschaft, der Korb der rational-sichere, linksseitig zuzuordnende Halt unter den Füßen), Extra- und Introversion (das Ins-Weite-Fliegen gegenüber dem In-sich-zusammengezogen-Sein im Korb), Momentempfinden und historisches Bewußtsein (der sich erweiternde Moment als Ballon und die identitätsstiftende Erinnerung als Korb, darin man steht) Sympathikus und Parasympathikus (beständige Reaktionsbereitschaft nach außen bei Unfähigkeit zum Entspannen, Verdauen und zur Sexualität), oder auch Kind-Ich und Eltern-Ich (der Schirm bzw. Ballon als das hochfliegende Wollen und die wilde Energie, der Korb als der verläßliche, elterliche Halt im Leben)? Oder ist die Metapher eher vage angelegt und beschreibt ein Selbstgefühl anstelle von manifesten Veränderungen? Gleichwie – in jedem Fall wird eines deutlich: Verbindung muß her. Aber zwischen was?

Ein gutes Modell, um Strukturbildung auch bei fremdartigen Inhalten zu erfassen, ist die Poesie. Laurence Bataille hat geschrieben, wie sehr sie als Psychoanalytikerin es bedauert habe, keinen Sinn für Poesie zu besitzen – und so die sublimen Mitteilungen ihrer Patienten nicht anders als über die Deutung erfassen zu können (Bataille 1988). Ein römisches, ein romantisches und ein Gedicht der klassischen Moderne haben bei aller Verschiedenheit doch eines gemeinsam – sie fassen einen Inhalt, welcher dadurch, daß er nicht berichtet, sondern assoziativ gefügt wird, in eine Form, welche von einem Versmaß, Reim, Rhythmik oder bestimmten stilistischen Figuren erzeugt wird. Dies ist, auch wenn uns der Text (wie bei Poesie durchaus üblich) zunächst ratlos stimmen mag, bereits eine Verbindung des rein Assoziativen zum Rationalen, oder, wenn man so will: Ein erstes Tau, welches zwischen Fallschrim und Korb gespannt wird. Wir können dies Modell fortentwickeln, indem wir sagen: Je verständlicher ein Gedicht ist, desto mehr solcher „Taue“ hat der Autor verwendet. Bei maximaler Erschließbarkeit weist das Gedicht gegenüber den Regeln der aktuell gültigen Informationssprache keine Abweichungen mehr auf. Hypnotherapeutisch nun genügt es vollauf, ein bis zwei „Taue“ zu spannen, indem wir beispielsweise zu Beginn uns auf die Neigung Schizophrener zu Klang-Assoziationen einlassen und ebenfalls Reime in unser Sprechen flechten, dann Dialog für Dialog mehr auf vollendete Sätze achten, schließlich von einem Dialog zum nächsten Themen wieder aufgreifen, die schon eine Weile zurückliegen und so die Struktur des Miteinander-Sprechens über die aktuelle Befindlichkeit hinaus erweitern.

Kategorien: Studien