Die Schizophrenie ist, wie es scheint, keineswegs für jedermann eine Folter. Sie ist auch nicht zwangsläufig gefährlich, da Schizophrene zwar in akuten Krisen autoaggressiv reagieren können, dies sie aber kaum von „Normalen“ unterscheidet. Was die Sorge um Angriffe auf Behandler oder auf Dritte angeht, so heißt es bei Müller-Fahlbusch lapidar: „Auf die Psychiatern oft gestellte Frage, ob „Geisteskranke“ denn wohl gefährlich seien, ist am besten mit der Gegenfrage zu reagieren, ob Menschen denn wohl gefährlich seien.“ (Müller-Fahlbusch 1983, S. 342). Man könnte ergänzen, daß besonders krasse Ausfälle, welche zu Perversion, Selbstzerstörung oder Amoklauf führen, vor allem den sogenannten „Normalen“, oft Überangepaßten unterlaufen, welche in ihren Anpassungsversuchen gescheitert sind. Vor diesem Hintergrund erscheint die Angst mancher Therapeuten vor dem „Ausrasten“ eines mit psychologischen Mitteln behandelten Schizophrenen fast ein wenig lächerlich.
In der Schizophrenie liegt also weder das per se „Quälende“, noch das per se „Gefährliche“.Doch sollten wir andererseits uns natürlich auch vor Idealisierung hüten. Immerhin ist es für Schizophrene kaum möglich, gesellschaftlich selbstbestimmt zu leben – und dies nicht, weil die Gesellschaft so schlecht wäre, sondern auch, weil oft elementare Bereiche der Selbstversorgung aus den oben beschriebenen Gründen nicht gelingen. Etwas mit der Schizophrenie zu tun, ist also wichtig; die Frage ist, was.
Gegenwärtig ist es vor allem die biologische Psychiatrie, die therapeutisch von sich reden macht, und dies in vieler Hinsicht gewiß zu recht. Vielen ist, vor allem in den Ausnahmezuständen extremer existentieller Angst, neuroleptisch geholfen worden. Auch ist die Erleichterung von Angehörigen zu bedenken, die, von den extremen Haltungen der Kranken überfordert, oft zwischen Sorge und Haß vegetieren. Die holländische Autorin Dera Anstadt (1989) hat beschrieben, wie ihr Sohn Raf immer tiefer in der Wahnwelt einer Hebephrenie versank, durch verschiedene Behandlungen ging und endlich in einer konservativ medikamentös Klinik zur Ruhe und erstmals zu einer sozialen Lebensform kam. Freilich wird in dem Buch auch betont, der die Injektionen verabreichende Psychiater sei selbst ein Leidender, habe er doch auffallend dünne, offenbar durch Krankheit veränderte Beine. Nur die Tatsache, daß auch sein Behandler litt, machte es, so läßt Anstadt erkennen, möglich, daß Raf sich diesmal einer Medikation nicht verweigerte. Dies bringt zu dem Schluß, der biologische Faktor könne bei der Schizophrenie-Therapie selbst in Extremsituationen nicht ohne den psychologischen gedacht werden.
Der biologische Zugang zur Schizophrenie hat offenbar, selbst von einem radikal psychologischen Standpunkt aus betrachtet, seine Berechtigung. Wenn das Gerüst an einer hohen Stelle einbricht, dann fragt man nicht, ob die Hand, die einem hingestreckt wird, künstlich ist oder nicht – solange sie einen halten kann. Eine Patientin von mir, die zwischenzeitlich stationär mit Neuroleptika behandelt wurde, erklärte: „In diesen Zuständen gibt es nur eine akzeptable Geschichte: „Haldol“, „Imap“ oder „Fluanxol“. Stimmt´s, Herr Milzner?“ Ich habe genickt.
Für viele Patienten ist Medikation also segensreich. Gelegentlich läßt sich wohl auch der Alkoholmißbrauch vieler Schizophrener (vgl. Zeiler 1997) als eine Form der Selbstmedikation auffassen. Umgekehrt aber, was ist mit jenen, die panische Angst erfaßt, wenn sie „Haldol“ hören – ich habe einen Mann erlebt, einen Wissenschaftler, der, als er mit Haloperidol eingestellt werden sollte, verweifelt in Tränen ausbrach und rief: „Nicht wieder das!“ Dieser Mann schien vollkommen anders zu empfinden, als die gerade genannte Patientin. Fatal ist, daß wir nicht wissen können, wie ein Schizophrener seine Medikation erlebt, da offenbar die Erlebnismodalitäten verschieden sind. Akzeptieren wir dies, dann müssen wir schließlich wohl oder übel anerkennen, daß die biologische Psychiatrie neben der helfenden auch über eine folternde Hand verfügt, und daß Neuroleptikum oder gar Operation für manche Patienten die Pest ist, die man ihnen zur Kurierung der Cholera offeriert. Für diesen Personenkreis zumindest brauchen wir andere Angebote, und es scheint mir klar zu sein, daß diese nur aus der Psychologie extrahiert werden können. Wo aber können diese Angebote ansetzen?